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29. April 2010

Wir suchen die Finanz- und Wirtschaftskrise in Wiesbaden (1)

Teil 1:

Es zeigt sich, dass es gar nicht einfach ist, die Krise zu erkennen und zu beschreiben. Steht sie uns bevor, sind wir mitten drin, ist sie schon vorbei? Ja, was ist nun der Fall? Das ist ein unbefriedigender Zustand. Quelle27 möchte helfen, die Krise zu erkennen, die Krise zu beschreiben und die Krise zu lösen. Und Quelle 27 beginnt natürlich in Wiesbaden mit einem Experiment:


Ich gehe an einem Samstagmorgen im April 2010 in ein Straßencafe in der Neugasse und beobachte, die Finanz-, Wirtschaftskrise in Wiesbaden.

Zuerst fahre ich mit dem ESWE Bus zum Luisenplatz, weil ich kein Auto mehr besitze. Ich will mir kein Auto kaufen, obwohl es sehr viele Angebote gibt, ein Auto „günstig“ zu finanzieren oder zu leasen, ab 99 Euro im Monat. Ich will mich nicht binden, ich will keine Schulden machen. Wieso leasen so viele Leute ihr Auto? Man kauft das Auto scheibchenweise, weil man ein ganzes Auto nicht bezahlen kann. Die Finanzindustrie hilft, Dinge zu verkaufen, die sich die Menschen gar nicht mehr leisten können. Und sie verkauft uns zusätzlich Leasingverträge, Kreditausfallversicherungen und Vollkaskoversicherungen, 4% für den Vermittler. Klingt eigentlich nicht gut, für den, der Autos produziert und für den, der weiß wohin solche Blasen führen. Wenn ein „Volkswagen“ 20.000 Euro kostet, brauchen wir ein anderes Volk, mit viel mehr Einkommen oder mehr Spielernaturen, die gelernt haben mit Inkassobüros und Privatinsolvenzen zu leben. Die „altmodischen“, die das nicht so mögen, fühlen sich unwohl und sprechen vielleicht von Krise. Ja, und wer in Wiesbaden Innenstadt ein Auto hat, zahlt im Monat mindestens 100 Euro an Verwarnungs- und Bußgeldern, denn die Stadt Wiesbaden kassierte gerne und schnell.

Auch im ESWE Bus ist die neue Zeit angekommen. Es gibt echte ESWE Busse mit echten ESWE Fahrern und es gibt „outgesourcte“ ESWE Busse mit Fahrern, die 30% weniger verdienen als ihre ESWE Kollegen bei gleicher Arbeit. Die Stadt optimiert ihre „operations“ sagt der Controlling Mann in der Stadtverwaltung und im schwarz-gelb-grünen Koalitionsausschuss. Von Krise keine Spur, alles verbeamtet und auch sonst gut abgesichert. Ich setze mich und schaue mich im Bus um. Hier war die Krise immer schon sichtbar, da kommen alle zusammen und die Abgehängten werden immer sichtbarer.

Am Luisenplatz angekommen steige ich aus, viel Betrieb am Samstagmorgen, Sonne, Leben. Ich überquere die Luisenstrasse, vorbei an der Bonifatiuskirche und in die Fußgängerzone. An der Bonifatiuskirche der kniende Bettler. Kirchgasse/Ecke Friedrichstrasse; hier beginnt die Stadtmitte, die Fußgängerzone, die immer wieder in Vergleichen zu den umsatzstärksten Einkaufsstrassen in Deutschland gezählt wird. Wo ist die Krise?

Ich biege nach rechts in die Kirchgasse ein, rechts von mir Karstadt, gegenüber die City Passage. Das Karstadtgebäude wurde vor gar nicht langer Zeit aufwendig renoviert; die Firma Karstadt, als Teil von Arcandor befindet sich im Insolvenzverfahren. Ich sehe das große renovierte Gebäude, ich sehe die vielen Menschen ein- und ausgehen und ich weiß, dass das vielleicht schon in 6 Monaten so nicht mehr sein wird. Dass es unverändert weitergeht, ist ausgeschlossen, dass es ähnlich weitergeht ist umso wahrscheinlicher, je kleiner und menschenleerer das Kaufhaus wird. Und daneben war bis vor kurzem in einem anderen ehemaligen Traditionsgeschäft Ein Euro Laden „Ramsch aus aller Welt“. Es hat etwas Unwirkliches hier so zu stehen mit all der Sonne und all dem Leben und zu wissen, dass der ökonomische Prozess, der hinter diesem geschäftigen Gebäude steht eigentlich schon tot ist. Wird dieses Gebäude leer stehen, werden die Auslagen zugenagelt, wird ein riesiger Ein Euro Supermarkt einziehen, wird das ein Wettbüro oder die größte Disko in einer Innenstadt. Es ist ein Titanicgefühl: die Musik spielt, man tanzt, man sinkt. Wie wird die Stadt an dieser Stelle in 6 Monaten aussehen?

Und die City Passage gegenüber? Da war schon einmal sehr viel mehr Leben. Die sollten schon mehrfach schließen, weil ein neuer Investor alles abreißen wollte und alles neu und sehr viel schöner bauen wollte. Sie sind immer noch da: der Friseur, die Teehändlerin, der Obst- und Gemüsehändler, verschiedene Imbissstände und Kleiderläden. Der Investor investiert nicht. Die Spitzen der Stadt sind nach Dublin gefahren und haben uns gemeldet, alles werde gut.

Ja so ist die Wiesbadener Innenstadt, rechts die Titanic, die tanzend untergeht, links die City Passage, die auf den Prinzen wartet, der sie wach küssen wird, wahrscheinlich in form eines geschlossenen Immobilienfonds. Ja, da ist sie wieder die Finanzindustrie und ihre Krise ist auch dabei, aber nicht so gut sichtbar. Die Leute sind geschäftig, kaufen ein, die Strasse ist voll. Wiesbaden ist sonnig und lebendig an diesem Samstagmorgen.

Ende von Teil 1

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